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Lehrerausbildung – black box im Kampf der Partialinteressen

(work in progress)
 

Eine gründliche Aufarbeitung der Forschung zur deutschen Lehrerausbildung kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: 
„..der Stand der deutschen Lehrerausbildungsforschung insgesamt (ist, K.F.) eher niedrig.“ (Schaefers 2002, 79)
„Die zweite Phase der Lehrerausbildung wird nicht nur kaum erforscht, darüber hinaus erscheinen die wenigen vorhandenen Ergebnisse aus forschungsmethodischer Perspektive äusserst defizitär.“ (ebd., 80)
„Eine theoriegeleitete, systematisch empirische Forschung zur Lehrerausbildung existiert nicht.“ (ebd.)
Zu einer ganz ähnlichen Diagnose kommen Terhart (2001, 51) und Tillmann (2002).
Deutschland ist also nicht nur bezüglich der Leistungen der 15-jährigen im Lesen, in Mathematik und Naturwissenschaften rückständig, sondern auch im Bereich der Erforschung der Lehrerausbildung. Dabei gibt es z.B. in den USA oder in den Niederlanden Modelle für eine theoretisch und empirisch gute Lehrerausbildungsforschung (vgl. Sikula 1996; Brouwer/ ten Brinke 1995).
Warum wurde und wird sie in Deutschland nicht durchgeführt? 
Eine plausible Erklärung lautet: Offensichtlich entspricht eine gute Lehrerausbildungsforschung nicht den Interessen der herrschenden Gruppen und Organisationen in diesem Bereich, gemeint sind die Kultusministerien, die Hochschulen und Hochschullehrer, die Seminarleiter, die Schulbehörden und die Gewerkschaften. Diese Gruppen und Untergruppen können in der derzeitigen desolaten Lage besser ihre Partialinteressen verfolgen.
Dieses schwarze Loch der deutschen Lehrerausbildung verbindet sich mit dem generellen Professionalisierungsmangel im Lehrerberuf (vgl. Feldmann 2002).
Auch die „Leitsätze zur Lehrerbildung“ der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft aus dem Jahr 2002 weisen nur in Ansätzen auf ein innovatives mit professioneller Forschung verbundenes Programm hin. Die drei Phasen der Lehrerbildung (Hochschulausbildung, Vorbereitungsdienst und Lehrerfortbildung) werden festgeschrieben, sollen jedoch vernetzt werden. Die bisherige Einteilung in „Fächer“ ist offensichtlich sakrosankt. Module bleiben völlig unbestimmt, um die traditionellen Verfahrensweisen in neue Schläuche einfüllen zu können. Was „Professionalität des Lehrerhandelns“ sein soll, bleibt total geheimnisvoll. Dass die Lehrerausbilder selbst eine professionelle Ausbildung benötigen, wird mit keinem Wort erwähnt.

Forschung und zielorientierte Innovation sollten in einem professionellen Arbeitsbereich verbunden sein. Innovation wird freilich von Gruppen, die mit Privilegien versehen sind, häufig als gefährdend angesehen und deshalb vermieden.
Welche Ziele sollte die Innovation in der Lehrerausbildung verfolgen? 
Hauptziel: Erwerb von professionellen Kompetenzen durch die Lehramtsstudierenden in Verbindung mit einer Verbesserung der Arbeitssituationen in den Schulen. 
Die Kompetenzen müssen an den zentralen Zielen von Schule ausgerichtet werden: Erwerb von Basis- und Schlüsselkompetenzen der Schüler. Das Programm ist also einfach zu beschreiben, doch seine Durchführung stößt seit Jahrzehnten auf große Schwierigkeiten in Deutschland. 
Qualitativ hochwertige Schulforschung (Paradebeispiel: Pisa) ist mit qualitativ hochwertiger Lehrerausbildungsforschung zu verbinden (Paradebeispiel: ???).
Effizienzreformen in der Lehrerausbildung, die nicht mit solider Längsschnittforschung gekoppelt sind, sind in der Regel keine Effizienzreformen.

Die derzeitigen bürokratischen Regelwerke der deutschen Lehrerausbildung, z.B. Prüfungsverordnungen, beruhen großenteils nicht auf wissenschaftlicher Grundlage im Sinne der genannten Zielstruktur. 
Einige Anregungen zum Aufbrechen der Verkrustungen und zur Durchführung kontrollierter Experimente seien hier angeführt:

  • Diagnoselehrer ausbilden. Wie in der Medizin ist in der Pädagogik die Diagnose beim einzelnen Klienten die Voraussetzung gezielter Innovation. Bisher gab es keine professionelle Diagnoseausbildung für Lehrer in Deutschland.
  • Zusätzlich zum Fachlehrerprinzip auch andere Spezialisierungen zulassen, z.B. Gesundheit, Wohnung, Kommunikation, Lernmanagement, Gruppen- und Organisationsmanagement, Wirtschaft, Psychologie, Recht. Studierende können nach Beratung Bausteine (Module) kombinieren. In Schulen sollen entsprechend credit-Systeme und klientenorientierte Modulangebote erprobt werden.
  • Somit sollen auch flexiblere Fächerkombinationen zugelassen werden: z.B. Science teacher (Physik + Chemie + Biologie); Angewandte Mathematik (z.B. Mathematik + Wirtschaft), Kreatives Gestalten (Kombinationen von Modulen aus den Bereichen Literatur, Musik, Bildende Kunst, Mediendesign, Film, Theater etc.), Familien- und Gemeinschaftskunde (Psychologie + Soziologie + einschlägige Berufserfahrung).
  • Mobillehrer ausbilden: Lehrer müssen nicht für Betonkästen ausgebildet werden, sie können auch in mobilen (möglichst interprofessionellen) Teams arbeiten.
  • Jeder erziehungswissenschaftliche Fachbereich adoptiert mindestens eine Schule, in der Forschung, Innovation und Hochschulunterricht betrieben werden.
  • Jeder Lehramtsstudent ist von Anfang an einer Schule und einer Studentenkleingruppe zugeordnet – die er auch wechseln kann.
  • Mobilhochschullehrer einstellen: Hochschullehrer müssen nicht in Betonkästen unterrichten, sie können auch in mobilen (interdisziplinären und interprofessionellen) Teams arbeiten. Diese Hochschullehrer arbeiten gemeinsam mit Lehrern in Gruppen an der Verbesserung der Schulen und betreiben Lehreraus- und –weiterbildung.
  • Schulleitungen können selbst entscheiden, welche Personen sie einstellen, d.h. sie sind nicht an die derzeitigen offiziellen Vorgaben (erfolgreicher Abschluss der zweiten Phase) gebunden. Sie können auch Teilzeit- und Zeitstellen, z.B. für Projekte oder für spezielle Schülergruppen einrichten, oder an Personen bzw. Organisationen Teilaufgaben vergeben.
  • Jedem Schüler oder Studierenden sollen mehrere Möglichkeiten zur Verfügung gestellt werden, Kompetenzen zu erwerben, d.h. er ist nicht an eine Lehrperson, einen Lernort oder obligatorische Lehrveranstaltungen gebunden.
  • An Schulen arbeiten auch Studierende und an Hochschulen arbeiten auch SchülerInnen.
  • Es sollen Versuche gemacht werden, den Schwerpunkt von der Ausbildung auf die Fortbildung zu verschieben. 
  • Evaluation ist eine Aufgabe aller Beteiligten, der Schulen, der Hochschulen, der Lehrer und der Schüler. Die Evaluationsergebnisse werden in Forschungsprojekten aufgearbeitet und kritisch geprüft.


Innovation und Forschung müssen verbunden sein, will man wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt. Staatliche Bürokratie sollte günstige Rahmenbedingungen für derartige Unternehmen schaffen, sich bei den inhaltlichen Vorgaben jedoch schrittweise zurückzuziehen (Evolution der Demokratie).

Literatur:

Brouwer, N./ ten Brinke, S. 1995. Der Einfluß integrativer Lehrerausbildung auf die Unterrichtskompetenz 1+2. Empirische Pädagogik 9, 3-31 und 289-330.
Feldmann, K. 2002. Professionalisierung und Interprofessionalisierung im Erziehungsbereich. http://www.erz.uni-hannover.de/~feldmann/feldmann_%20professionalisierung.pdf.
DgfE. 2002. Leitsätze zur Lehrerbildung. http://dgfe-aktuell.uni-duisburg.de.
Schaefers, C. 2002. Forschung zur Lehrerausbildung in Deutschland - eine bilanzierende Übersicht der neueren empirischen Studien. Schweizer. Z. Bildungswiss. 24, 1, 65-88. 
Sikula, J. (ed.) 1996. Handbook of research on teacher education. New York, Macmillan.
Terhart, E. 2001. Lehrerberuf und Lehrerbildung. Weinheim, Beltz.
Tillmann, K. 2002. Lehrerbildung - alltägliche Misere und notwendige Träume. Pädagogik 10/02, 36-40.

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